Leben & Wirken Heinrich Bölls
1917 - 1945
Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in der Kölner Südstadt geboren. Sein Vater, Schreiner von Beruf, muss in der Inflationszeit 1923 sein Geschäft verkaufen. Die Familie zieht in ein ärmliches Quartier. Heinrich Böll wird katholisch erzogen.
In Bonn absolviert er eine Ausbildung zum Buchhändler, der er abbricht während er gleichzeitig mit dem Schreiben beginnt. 1938 wird Heinrich Böll zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, den er bei Kassel ableistet.
1939 beginnt er ein Studium der Germanistik und klassischen Philologie und schreibt seinen ersten Roman „Am Rande der Kirche“.
Im Spätsommer 1939 wird Heinrich Böll zur Wehrmacht eingezogen.
1942 heiratet er während eines Fronturlaubs Annemarie Cech. Beide bekommen 1945 ihren ersten Sohn Christoph, der jedoch kurz nach der Geburt stirbt.
Böll wird viermal verwundet und erlebt den Tod seiner Kameraden. Gegen Ende des Krieges versucht er oft und erfolgreich der Truppe fernzubleiben. 1945 wird Heinrich Böll in amerikanische Kriegsgefangenschaft genommen und im September desselben Jahres wieder entlassen.
1945 -1954
Böll schrieb sich in der Nachkriegszeit wegen der Lebensmittelmarkenzuteilung wieder an der Universität ein und begann wieder zu schreiben.
Er schrieb nun in erster Linie über seine Kriegserlebnisse. So zum Beispiel in „Der General stand auf einem Hügel – Erzählungen aus dem Krieg“. Eindrucksvoll schilderte er Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Tötens und Sterbens. Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang auch seine Kurzgeschichte „Wander, kommst du nach Spa…“. Wie groß Bölls Bedürfnis war, das Erlebte zu verarbeiten, zeigt auch seine unglaubliche Produktivität zu dieser Zeit: zwischen 1945 und 1947 schrieb er 60 Novellen.
Nach und nach bekam Böll in der Literaturwelt mehr Anerkennung. Erste Erzählungen erschienen in Zeitschriften. Seine Erzählung „Der Zug war pünktlich“ wurde zu einem ersten größeren Erfolg. 1951 dann der Durchbruch: Böll gewann mit der satirischen Erzählung „Die schwarzen Schafe“ den Literaturpreis der Gruppe 47 und erhält in der Folge einen Autorenvertrag bei Kiepenheuer & Witsch.
Er verarbeitete aber nicht nur mehr Kriegserfahrungen. Er prangerte auch politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen im Nachkriegsdeutschland an, wie die Verfilzung von Amtskirche und ehemaligen Nazis. Wirtschaftliche Ungerechtigkeiten ärgerten ihn maßlos. Nach seinen Kriegserlebnissen hatte er von einer entmilitarisierten, klassenlosen Gesellschaft geträumt und musste nun feststellen, dass die Restauration in vollem Gange war und Vergangenheitsbewältigung nicht stattfand.
1963 erscheint "Ansichten eines Clowns": Böll setzt sich kritisch mit der Amtskirche auseinander. Er kritisiert die Verfilzung von Amtskirche und (ehemaligen) Nazis (Bigotterie). Aber er verstand sich dennoch immer als Katholik:
„Mein Verhältnis zur katholischen Kirche als Institution ist vergleichbar mit meinem Verhältnis zum Deutschsein. Ständige Spannungen, ständige Ablehnung und Wissen doch dazuzugehören.“
„Ich brauche die Sakramente, ich brauche die Liturgie, aber ich brauche den Klerus nicht.“
Wie Böll sein Christsein verstand zeigt, dass er sich vor dem Hintergrund des Vietnam-Kriegs dem ökumenischen Arbeitskreis Köln anschließt, der auf dem Essener Katholikentag gegen den Widerstand der Amtskirche ein erstes „politisches Nachtgebet“ abhielt.
60er und 70er-Jahre
1968 machte deutlich, welche Konflikte innerhalb der bundesrepublikanischen Gesellschaft schwelten. Das Jahr brachte die Diskussion um die Notstandsgesetze, Entrüstung über den Krieg in Vietnam, Studentenunruhen und außerparlamentarische Opposition. Heinrich Böll bezog klar Stellung gegen die Einführung der Notstandsgesetze und trat zum ersten Mal als Redner vor die Demonstranten im BonnerHofgarten, die sich dort am 11. Mai im Rahmen eines Sternmarsches versammelt hatten.
Dort brachte er auf den Punkt, was viele dachten:
„Als Person aufgrund meiner Erfahrungen mit verschiedenen Notständen der deutschen Geschichte bin ich der Überzeugung, dass Notstände – was hier bedeutet Krieg oder Bürgerkrieg – durch Gesetze nicht zu regeln sind.“
1971 veröffentlicht Böll mit „Gruppenbild mit Dame“, das was bis heute vielen Kritikern als sein bedeutendste Werk gilt. Er selbst bezeichnete es als die Weiterentwicklung früherer Arbeiten. Der Roman ergreift Partei für die Abfälligen / den Abfall der Gesellschaft, die Außenseiter und Leistungsverweigerer und schlägt erzählerisch den Bogen zwischen drittem Reich und Bundesrepublik.
Im selben Jahr wird Böll als erster deutscher Schriftsteller internationaler Präsident des PEN-Clubs, der sich für die künstlerische Freiheit von Schriftstellern einsetzt. Wie aktuell dieses Thema leider immer noch ist, hat man nicht zuletzt bei der Verhaftung von Dogan Akhanli in Spanien im Jahr 2017 gesehen.
1972 setzt sich Heinrich Böll in einem Spiegel-Artikel unter dem Titel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ mit Ulrike Meinhof und der Berichterstattung der Springer-Presse auseinander. Obwohl er den Terror der RAF als sinnlosen Krieg von 6 gegen 60 Millionen bezeichnete, sorgte der Artikel für einen innenpolitischen Skandal. Böll wurde insbesondere von der Springer-Presse vollkommen ohne Grund zur Sympathisantenszene gezählt und als ideologischer Helfershelfer bezeichnet.
Es ging so weit, dass Bölls Wohnhaus in Langenbroich in der Eifel von der Polizei durchsucht wurde. Auch Sohn Raimund geriet in das Visier der Fahnder.
1975 - 1985
Nach dem Ende des Vietnamkriegs war das Leid der Menschen vor Ort immer noch nicht beendet. Viele Vietnamesen flohen, weil Sie Angst vor Haft, Folter und Tod unter der kommunistischen Regierung hatten und versuchten mit Booten die Küste von Malaysia oder Indonesien zu erreichen. Viele der sogenannten Boat People ertranken auf ihrem Weg dorthin. Der Journalist Rupert Neudeck wollte, nach Vorbild einer französichen Initiative, mit Hilfe von Spendengeldern ein Boot chartern, um möglichst viele Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Er bat Heinrich Böll um Unterstützung. Böll sagte sofort zu. Rasch kamen die benötigten Spendengelder zusammen. Aus der Aktion „Ein Schiff für Vietnam“ wurde schließlich die Hilfsorganisation Cap Anamur.
Damals sagte Böll: "Ich würde auch einen ertrinkenden Zuhälter retten. [...] Ich hätte sogar den Massenmörder Eichmann aus dem Wasser gezogen."
Auch 1981 und 1983 mischte er sich in diesem Sinne ein als er auf den großen Friedensdemos im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss als Redner auftrat. Die Anreise war 1983 nicht mehr weit, denn 1982 war er bereits nach Bornheim-Merten zu seinem Sohn René gezogen, der dort zuvor den Lamuv-Verlag gegründet hatte. Dort und in Langenbroich in der Eifel arbeitete der gesundheitlich mittlerweile stark angeschlagene Autor an seinem erst postum erschienen Roman „Frauen vor Flußlandschaft“ und verfasste die Kurzgeschichte „Oblomow auf der Betkannte“.
Böll setzte sich auch nach wie vor für die künstlerische Freiheit von Schriftstellern ein und unterstützte sowjetische Schriftsteller und Wissenschaftler, indem er ihnen öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte und ihnen Publikationsmöglichkeiten im Westen ermöglichte.
Der sowjetische Dissident Lew Kopelew kam auf Einladung Bölls Ende 1980 nach Köln und wurde entgegen der ursprünglichen Zusage von der Sowjetunion ausgebürgert. Böll und Kopelew verband eine lange Freundschaft. Die beiden Schriftsteller hatten sich 1962 bei einem Moskau-Besuch von Böll und anderen deutschen Schriftstellern kennengelernt. Kopelew zog nach Köln. Er gehörte zu den Sargträgern, die Heinrich Böll nach dessen Tod durch Merten zur letzten Ruhe begleiteten.
Beide hatten sich auch für den Nobelpreisträger Andrej Sacharow eigesetzt, dessen Entlassung aus der Verbannung Böll 1983 in einem Offenen Brief an den sowjetischen Parteichef Andropow noch einmal forderte. Aber nicht nur mit Apellen half Heinrich Böll, sondern auch ganz handfest: als der 1. FC Köln 1984 in der dritten Runde des UEFA-Cups in Tiflis gegen Spartak Moskau antreten sollte, rief Böll bei FC-Geschäftsführer Michael Meier an und fragte, ob die Mannschaft nicht ein paar Kleidungsstücke, Medikamente und Schreibutensilien für Sacharow mitnehmen könnte. Meier sagte zu und in einer Filmreifen Aktion, als Ticketübergabe getarnt, wurden die Sachen erfolgreich an Sacharow weitergeleitet.
Im selben Jahr verlieh die Stadt Köln Heinrich Böll die Ehrenbürgerwürde. Dabei war Bölls Verhältnis zu Köln durchaus ambivalent. Die zunehmende Verbauung der Stadt kritisierte er stets. Für Ihn gab es im Grunde drei Köln: das Köln vor dem Krieg, das Köln der Kirchen und das Köln der Autos. Vermutlich war es auch das hektische, laute Auto-Köln, das ihn Ruhe in Merten suchen ließ.
Aber auch das Verhältnis zu den Mertener Bürgerinnen und Bürgern war hier im konservativ geprägten Vorgebirge keinesfalls immer einfach. Skeptisch beobachtete man, wie der „Kommunist“ – als solchen galt einigen Einwohner der Literat - täglich mit der Bild-Zeitung unter dem Arm durch den Ort ging, häufig mit der Kirche als Ziel. Allerdings nur, wenn keine Messe war.
Einen Nobelpreisträger hatte man sich überhaupt ganz anders vorgestellt. Zumindest einen Chauffeur oder eine Haushälterin müsste er doch haben. Dieser Vorstellung folgend hielten einige seine Frau Annemarie Anfangs für eine Haushaltshilfe und Sohn René für den Fahrer.
Wer mit Böll ins Gespräch kam merkte aber schnell, dass er zwar zurückhaltend, aber freundlich und frei von jeder Eitelkeit war. Friseur Hans-Peter Stüsser signierte er jedenfalls gerne ein Exemplar seines Romans „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Auch hatte er keine Berührungsängste zur örtlichen CDU. Zumindest nicht, wenn es darum ging, am Wahlwerbestand einen Kugelschreiber zu ergattern. Den nahm er allerdings nur mit dem sehr ehrlichen Hinweis an, dass er selbstverständlich dennoch nicht daran denke, die Partei zu wählen.
Viele Menschen, die sich persönlich mit Heinrich Böll unterhielten, kamen nicht umhin, Ihre Meinung über ihn zu ändern. Auch gesamtgesellschaftlich und in der Politik änderte sich die Wahrnehmung Bölls zusehends. Als er schließlich am 19 Juli 1985 durch Merten zu seiner letzten Ruhestätte getragen wurde, nahm neben seinen langjährigen Weggefährten auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker an der Prozession teil. Viele Mertener verfolgten das Geschehen allerdings nur von den Fenstern Ihrer Häuser aus.
Am 16. Juli 2010, seinem 25. Todestag, erhielt Heinrich Böll posthum die Ehrenbürgerwürde der Stadt Bornheim.